Von Palolem in Goa (Indien) beschloß ich , für ein paar Tage einen Abstecher nach Hampi in Karnataka zu machen. Mich lockten die Ruinen von Vijayanagar, dem sagenhaften Hindu – Reich, welches in Hampi einstmals sein Zentrum hatte. Ich fuhr also mit meinem Rad zum Bahnhof von Chaudi, dann mit dem Zug zum Umsteigebahnhof Margao und weiter mit einem „Expreß“ nach Hospet, dem Bahnhof in der Nähe von Hampi. Das Fahrrad ließ ich während meiner Reise nach Hampi vor dem Bahnhof in Chaudi stehen.
Außer mir saßen vor allem Inder im Abteil – wen wunderts – und ein deutsches Mädel, welches ebenfalls als Traveller unterwegs war. Interessant fand ich, daß sie zwar mit leichtem Gepäck reiste, aber eigene Koch-Utensilien bei sich hatte und sich ihre Mahlzeiten immer selbst kochte. Das war für mich reichlich ungewohnt – bisher bin ich immer davon ausgegangen, daß es in Indien viel einfacher und äußerst billig ist, irgendwo essen zu gehen, anstatt selbst noch mit Einkaufen und Kochen anzufangen.
Ich war oft in kleinsten Gaststuben, da, wo die Einheimischen hingehen und es meist nur ein Gericht gibt, welches an dem Tag eben gerade das Angebot ist. Die Kosten dafür lagen üblicherweise nur bei 50, 60 Cent. Aber ich habe das auch ein wenig bewundert, da es ja ein Zeichen großer Unabhängigkeit und Souveränität ist, selbst zu kochen, während ich im Grunde immer auf die Angebote der lokalen Köche angewiesen war. Na gut, die gibt es allerdings zuhauf, und die wollen ja auch leben…
Vor allem der erste Teil der Bahnstrecke ist sehr interessant, führt er doch gleich am östlichen Rand von Goa über die Vasco-Castle-Rock- Serpentinen Kurve um Kurve in die Westghats. Dabei überquert die Bahn auf einem alten Steinviadukt die insgesamt rund 600m hohen Dudhsagar Wasserfälle, die ich erst einige Tage zuvor per Jeep besucht hatte.
In Indien gibt es immer Interessantes zu beobachten und das ist in Zügen nicht anders. Vor allem in der „Holzklasse“, in der ein Querschnitt der einfachen Inder reist. Ständig kommen fliegende Händler durch den Zug und preisen „Pani-Water„, „Coffee„, „Tschai“ und verschiedenes Essen an. Andere Reisende haben manchmal die seltsamsten Gepäckstücke. Auf der Reise nach Hampi saßen in unserem Abteil noch zwei Fischer, und die fingen schon kurz nach der Abfahrt an, Netze zu knüpfen. Sie packten ihre Garnrollen und angefangenes Netzwerk aus, spannten das Gewebe mit den Zehen auf und los ging‘ s – stundenlang, die ganze Fahrt über. Sie haben die lange Reisezeit bestens genutzt.
Stunden später am Bahnhof Hospet in Karnataka angekommen, mußte ich noch ein Stück durch den Ort laufen, um zum Bus nach Hampi zu kommen. Neben Einheimischen fuhren auch einige andere Traveller mit – z.B. ein anderes Mädchen, welches Jonglierzeugs bei hatte. Es war das einzige Mal, daß ich in Indien auf dieser Reise jemanden mit Jonglierkeulen gesehen habe.
Der Bus fährt nur bis auf einen Platz vor der Ortschaft, der Busstation am „Hampi Bazaar“ und entläßt dort die Reisenden. Dann zieht jeder seiner Wege, auf der Suche nach Unterkunft. Bereits hier war die Umgebung felsig und einige Säulen und behauene Steinplatten lagen herum.
Ich schlenderte erstmal langsam über die Hauptstraße, den Hampi Bazaar, vorbei an einigen Tempeln, Häusern der Einheimischen, Marktständen, Hühner jagen pickend über den Platz… Dann kam ich an das Flußufer des Tungabhadra River. Ich hatte gelesen, daß auf der anderen Flußseite in Virupapuragadda noch weitere Guesthouses liegen und man dort einfache, hübsche Unterkünfte finden kann. Dazu mußte ich über den Fluß. Es gab einen Steg, von dem aus ein Motorboot als Fähre über den Fluß fährt. Davor ein großes Schild mit dem behördlichen Hinweis, daß der maximal zu zahlende Fährpreis soundsoviel Rupees betrage. Auf dem Boot nahmen sie natürlich das Doppelte, sie hatten ein Monopol für die Flußüberquerung.
Auf der anderen Flußseite des Tungabhadra zog sich die Straße zwischen Häusern der Einheimischen und Guesthouses entlang. Angeboten wurden auch Massagen, Reiki-Schule, Kochkurse, es gab ein paar Restaurants und Bars. Ein Sadhu bot mir Wahrsager-Dienstleistungen an, ein Stück weiter schepperte der Gong aus einem Meditationszentrum.
Fast schon am Ende der Siedlungsstraße fand ich einen Hof, wo eine Familie Übernachtung in kleinen Lehmhütten anbot. Das war sehr günstig und gemütlich. Die Hütten waren ohne Strom und hatte nur winzige Fenster. Ich bekam zur Beleuchtung eine Kerze und Streichhölzer in die Hand gedrückt. Über dem Bett hing ein Moskitonetz. Das war aber auch nötig. Hinter dem Hof fiel das Gelände in Terrassen zu einem Seitenarm des Tungabhadra hin ab, und über den sumpfigen Uferböschungen tummelten sich die Mücken.
Auf dem Hof wohnten noch ein deutsches Mädchen, Ines, welche an einem Reiki-Kurs teilnahm, ein älterer deutscher Traveller, der mit seinen kleinen Boxen und Player den ganzen Tag für Musik sorgte und John, ein junger Brite, der sich eine Enfield gekauft hatte und damit durch Indien fahren wollte, eventuell danach sogar nach Europa und England zurück. Der war aber ständig mehr oder weniger betrunken und schraubte ansonsten an dem Motorrad rum. Alle zweifelten etwas. ob er überhaupt irgendwann loskommen würde.
Außerdem kamen immerzu Leute vorbei. Die Familie verdiente sich noch etwas mit Restaurant- und Barbetrieb, d.h. sie boten auf dem Hof Getränke und verschiedenes Essen für erträgliche Preise an, so daß tagsüber auch andere Traveller und Inder reinkamen und Leben in die Wirtschaft brachten. Irgendwie war der Hof ein lokales Kommunikationszentrum und in den weniger warmen Stunden des Tages ein ständiges Kommen und Gehen. Weiter hinten, an den Hängen zum Flußarm hin, gab es jedoch eine „Hammock-Area“, wo wir zusammen chillen konnten, den Ausblick auf den Fluß und die grüne Landschaft dahinter genossen und uns gegenseitig mit Travellerstories unterhielten. Ines mit dem Reiki-Kurs nutzte die Gelegenheit zu Übungen mit uns, der Musik-Freak sorgte für chillout-Mugge, der Hausherr bot immer mal wieder Getränke an.. es war eine kleine Oase.
Natürlich war ich ansonsten über den Tag mehrmals allein unterwegs, um die Umgebung zu erkunden. Hampi bzw. Vijayanagar ist berühmt für seine Tempel- und Palastruinen, die sich über ein weites Feld aus Felsbändern zwischen Bananenpflanzen und unter Kokospalmen dahinziehen. Überall liegen große Steinbrocken verstreut, so als hätten Riesen im Riesensandkasten gespielt und die Steine händeweise durch die Gegend geworfen. Und auch die Tempel- und Gebäuderuinen bestehen aus den behauenen Felsen und sind zu Säulen, Dachplatten und Stufen ausgebaut.
Die Anlage von Vijayanagar, der „Stadt des Sieges“ war im 14. bis 16. Jahrhundert eine der bedeutendsten Hindu-Hauptstädte. Aus Berichten von Reisenden erfährt man von unvorstellbarem Reichtum, der auf Märkten zur Schau gestellt wurde – Seide und Schmuck in Hülle und Fülle, rauschende Feste und üppige Gelage. Leider wurde die Stadt Vijayanagar dann belagert und zerstört, so daß kaum ein Stein auf dem anderen geblieben ist und heute vor allem Ruinenfelder das Bild prägen. Jedoch sind selbst diese so beeindruckend, daß in der Phantasie ein Bild des reichen Stadtlebens erblühen kann.
An einem Tag zog ich zur Abwechslung mal nicht allein, sondern mit Ines los. Wir wanderten zum Hanuman-Tempel, der auf einer Felskuppe steht und zu dem man über steile Treppen aufsteigen muß. Weißgekleidete Pilger kamen in Gruppen auf uns zu. Bereits auf halber Treppe empfingen uns die Affen und kletterten bettelnd auf uns herum. Hanuman ist der Affen-Gott. Im Allerheiligsten des Hanuman – Tempels verteilten junge Männer in weißen Gewändern Spenden wie Reis und Gebäck sowie erneuerten die Blütenbuketts. Vermutlich profitieren am Ende vor allem die Affen davon. Am Nachmittag ging ich mit Ines dann durch die Reisfelder zum Tungabhadra und wir ließen uns auf einem schräg in den Fluß abfallenden Felsplateau nieder. Dann waren wir baden. Ich schwamm in dem schnellfließenden Wasser umher und freute mich über diesen schönen Platz zwischen Felsen, unter Palmen und der heißen indischen Sonne.
Südlich von diesem Tempel gab es eine weitere Möglichkeit, über den Tungabhadra zu kommen – mit dem Patty-Boat. Das sind runde überdimensionale Bastkörbe, in die ca. 8 – 10 Personen reinpassen und die ursprünglich von unten vermutlich mit Tierhäuten oder geteertem Segeltuch bespannt waren. Heute ist da eine GFK- Kunstharz-Beschichtung drauf, die die Patties abdichtet. So kann man sich für wenig Geld über den Tungabhadra paddeln lassen. Die meist jugendlichen Fährleute sind nicht nur freundliche Bootsmänner, sondern haben sichtlich ihren Spaß dabei.
An einem Abend auf dem Rückweg habe ich – angesichts der anhaltenden Tageshitze, nur meinen Rucksack mit der Kamera ins Boot getan, bin selbst in den Fluß gegangen und neben dem Patty-Boat hergeschwommen. Das war für alle, die noch dort an der Fährstelle waren, ein Gaudi! Am anderen Ufer wurde ich sogar mit Beifall empfangen. .. und natürlich meinen Rucksack zurück. Klar habe ich dafür ein extra – Trinkgeld gegeben.
So vergingen die Tage in Hampi. Eigentlich wollte ich nur so etwa 2 Tage bleiben – am Ende dauert meine Reise von Palolem dorthin fast eine Woche.
Zurück ging es in gleicher Weise wie bei der Hinfahrt. Erst mit dem Bus nach Hospet. Keine Ahnung, einmal am Tag fährt ein durchgehender Zug nach Goa. Wird schon klappen. In Indien fügt sich immer alles. Ich bin also ganz in Ruhe die Hauptstraße vom Busbahnhof zum Bahnhof gelaufen – hier noch ein Schwätzchen mit einem Händler, da nochmal Staunen über einen Straßenhandwerker.. irgendwann im Laufe des Vormittags kam ich gegen halb elf am Bahnhof Hospet an. Dort sagte man mir, der Zug nach Goa fährt täglich halb 10. Ja, …aber außer heute. Der Zug hat Verspätung und kommt in wenigen Minuten. Ich kaufe mir meine Fahrkarte nach Margao und gehe auf den Bahnsteig. Der Zug rollt gerade ein. Also wiedermal alles Bestens. Das ist Indien.
Am Bahnhof von Chaudi komme ich aus der Bahnhofshalle. Davor steht mein schwarzes indisches Möchtegern – Mountainbike, wie ich es eine Woche zuvor abgestellt habe, nur dick eingestaubt. Mein winziges Kofferschloß und die kleine Kette darum ist eher Symbolik. Ich kann die Kettenglieder mit den Fingern aufbiegen.
Einige Tage später verkaufe ich das Rad in Palolem an einen Fahrradverleiher, der mir nach eingehender Prüfung (er entdeckt sogar einen Schaden am Vorderreifen, den ich noch nicht gesehen hatte) umgerechnet 20€ dafür zahlt. Ein gutes Geschäft, damit habe ich sogar zwei Euro plus gemacht!
Mit der Bahn setze ich meine Reise Richtung Süden, immer entlang der Malabar-Küste fort.