Nach einer kurzen Nacht im Sleeper – Wagen verlassen wir in Satna den Chapra Durg Sarnath Expreß. Es ist morgens gegen Sieben und wir schlendern zum nahen Busbahnhof hinüber. Dort erwacht gerade das Leben. Zum nächsten Bus nach Khajuraho, das dauert noch ein Weilchen. Macht aber nichts, auch auf Busstationen ist in Indien immer was los. Mit kleinem Frühstück, der Jagd nach einem „black coffee“ und ausdauerndem Beobachten des Treibens um uns herum vergeht die Zeit.
Bei diesem Bus wird mal wieder größeres Gepäck auf dem Dach verladen. Das übernehme ich am Besten selbst, damit alles fest verzurrt ist. Dann geht es los in Richtung Khajuraho. Unser Platz – mal wieder der Ehrenplatz vorn links neben dem Fahrer. Dieser trampelt mit seinen Badelatschen auf den rostigen Pedalen rum. Darunter kann man durch Löcher in der Bodenplatte die staubige Straße sehen. Aber die Hupe geht, das ist das Wichtigste. Ordentlich laut, so wird der angemessene Vorfahrts – Anspruch eingefordert.
In Khajuraho stürmen gleich Rikschafahrer und Hotel-Schlepper auf uns ein. Wir entscheiden uns mal wieder für eine – „Yogi-Lodge“. Nach den Erfahrungen in Varanasi ist das wohl ein gutes Omen. Spaßeshalber fordern wir nach der Besichtigung des Zimmers noch, daß der Duschkopf gereinigt und repariert wird, als Bedingung für unsere Buchung. Das passiert natürlich nicht. Meistens hilft dann Abschrauben und Duschwasser aus dem blanken Rohr. Aber für 70 Rupees in einem einigermaßen sauberen Zimmer beschweren wir uns nicht. Sogar Fahrräder können wir für wenig Geld dazubekommen.
Am Abend bekommen wir in einer Audio- and Light – Show einen ersten Eindruck von den Tempelanlagen und der Geschichte, mit Schlachtengetümmel und Hörspiel – Szenen in english.
Morgens fahren wir auf einen Tip von unserem „Hotel-Management“ zu einem alten Yogi in der Nähe. Um uns herum ein wunderschöner Garten voller Früchte von Bananen über Papaya, Guaven, Granatapfeln bis Mango u.a. Dort sitzen wir im Kreis und erzählen ein wenig von unserem „gewöhnlichen Leben“. Es geht nicht um Hatha – Yoga mit allen möglichen Asanas, sondern um’s Gespräch. Der Yogi erzählt uns vom Sinn des Yoga, vom Unsinn der Religionen, die alle nur abhängig machen wollen und darüber Macht ausüben, von der Wichtigkeit, auf sich selbst acht zu geben, des Beobachtens, der inneren Unabhängigkeit und Freiheit, von Liebe und Abhängigkeit und dem Verhältnis von Geist und Herz… Er sagt uns, er sei 70 Jahre alt. Für mich sieht er eher aus wie 50.. „Be like a flower… butterfly comes, butterfly goes…“
Khajuraho im Norden von Madhya Pradesh ist eigentlich nur ein Dorf. Etwa 24.000 Einwohner im Dorf und in der Umgebung sind für indische Verhältnisse winzig. Jedoch sind mir schon vom Bus aus Hotels aller großen Hotelketten aufgefallen und dahinter ein eigener Flughafen. Das hat seine Ursache:
Die Tempel – Anlagen von Khajuraho
Im Jahre 1838 zog ein britischer Vermessungsoffizier im Auftrag seiner Majestät durch die Berge südlich der Ganges – Ebene. Im Djungel, überwuchert von Gesträuch und Bäumen, zugerankt von Schlingpflanzen entdeckte er alte Tempelanlagen mit tausenden von kleinen Figuren. Diese stellten offenbar Schlachtenszenen, aber auch Alltagsleben dar. Als er sich die Friese näher ansah, fielen ihm plötzlich verstörende Darstellungen ins Auge – Männlein und Weiblein in recht eindeutigen Posen, teilweise gleich mehrere, die sie aneinander vergnügten, Tiere zwischendrin und schwere Dinger…
Gerüchte waren schon lange im Umlauf, offenbar wußten einige der Einheimischen von den Tempel- Darstellungen. Auch die Briten hatten davon gehört. Aber die Meldung des Vermessungs – Offiziers an seine Vorgesetzten kam einer Wieder – Entdeckung für die Weltöffentlichkeit gleich. Im beginnenden 20. Jahrhundert wurde mit der Bestandssicherung und mit Erhaltungsmaßnahmen begonnen. Seit 1986 gehören die Tempelanlagen von Khajuraho zum Weltkulturerbe.
Die Tempel von Khajuraho stammen aus der Zeit von 950 bis 1120 und wurden von der damals mächtigen hinduistischen Chandella – Dynastie erbaut. Sie sollen Zeichen für gewonnene Schlachten sein. Immer wenn so eine Schlacht siegreich zu Ende ging, wurde ein neuer Tempel erbaut, um den Göttern für den Beistand zu danken. Für Historiker zeigen sich an den Khajuraho – Tempeln die Entwicklungen der Tempel – Baukunst in dieser Zeitepoche. Denn die Bauwerke wurde immer größer und prunkvoller in der Ausstattung. So zieren eben die Figuren – Friese als umlaufende Bänder die Tempel- Bauwerke, an einigen Tempeln sind sogar die Turmbauten und Wände mehr oder weniger komplett mit Figuren bedeckt.
Einige der Darstellungen sind tatsächlich Abbilder ungewohnter sexueller Freizügigkeit – Es gibt Figuren in unterschiedlichen erotischen Stellungen und sexuellen Praktiken, zu zweit, zu dritt oder in Gruppen. 69, Fellatio, Al tergio – alles offenbar keine Erfindungen der Neuzeit. Es gibt Männer, die sich mit Eseln oder Ponys paaren, möglicherweise Analverkehr und ausgefallene gymnastische Höchstleistungen beim Sex. Viele stellen diese Bilder mit dem indischen Kama-Sutra in Beziehung. Durchaus anzunehmen, daß es da einen Zusammenhang gibt. Offenbar waren die Gesellschaften Indiens um die erste Jahrtausendwende durchaus sexuell sehr freizügig und aufgeschlossen.
Doch bei weitem nicht alle Friese beinhalten erotische Skulpturen. Viele der Abbilder können als Bildband von Göttergeschichten gelesen werden. Die Tempel sind jeweils hinduistischen Gottheiten gewidmet und entsprechend ausgestattet. Erotische Darstellungen gibt es vor allem in den unteren Friesen. Darüber sind Liebespaare und „Schöne Mädchen“ zu sehen. Götterfiguren finden sich in den oberen Skulpturenbändern.
Die Chandella Dynastie hat zum Beginn des 12. Jahrhunderts Macht und Einfluß verloren, auch weil persische Eroberer das Hindu-Reich bedrängten. Dadurch geriet Khajuraho weitgehend in Vergessenheit, die Tempel verschwanden im Djungel. Zum Beginn des 19. Jahrhunderts hatte Khajuraho wohl nur noch etwa 300 Einwohner. Erst mit der Wiederentdeckung durch die Briten und dem einsetzenden Tourismus gelang Khajuraho ein zweiter Aufstieg.
An solchen Weltkulturerbe – Stätten wie in Khajuraho, dem Taj Mahal in Agra oder den Höhlen von Adjanta ist es in Indien üblich, zum normalen Eintrittspreis von Ausländern eine Dollar – Abgabe zu erheben (die den Rupee – Preis um ein Vielfaches übersteigt). Auffällig ist dabei, daß in irgendeiner Ecke dann immer „Baustellen“ zu finden sind, wo Arbeiter den ganzen Tag Sand sieben, Steine klopfen und ein reges Arbeitsleben darstellen. Offenbar wird damit demonstriert, wie engagiert man sich um die Erhaltung dieser Kulturstätten bemüht und gerechtfertigt werden, daß die Dollar- Abgabe durchaus für wichtige Arbeiten verwendet wird.
Wie überall auf dieser Tour haben wir auch dort versucht, mit kleiner Kamera und Taschen- Stativ ein paar „bewegte Bilder“, sprich kurze Video-clips zu sammeln. Da kamen dann sehr bald immerzu die dort stationierten Polizistinnen hinter uns hergeschlichen „Tripod is not allowed!“ Ich habe versucht, den Damen zu erklären, daß es ohne dieses winzige Taschenstativ keine brauchbaren Bilder gibt, da sonst auf Video alles aussieht, als gäbe es gerade ein Erdbeben. Die Polizistinnen blieben zwar freundlich, jedoch unnachgiebig.
Am Abend dieses schönen Tages in den parkähnlichen Anlagen fanden wir noch ein wunderbares Dach – Restaurant, wo wir das beste Thali auf dieser Tour überhaupt gegessen haben. Rundherum ist es inzwischen ziemlich dunkel und über uns steht eine schmale Sichel des Neumonds.
Am nächsten Tag machten wir uns die Fahrräder zunutze. Denn zu den Tempeln von Khajuraho gehört nicht nur die große eingezäunte „Westgruppe“, die den meisten Touristen auf ihren geführten Touren vorgestellt wird, sondern auch eine kleinere „Ostgruppe“, ein paar Tempelteiche, weitere, einzeln stehende Tempel und eine angenehme Umgebung. Also waren wir abseits der großen Touristenströme im Dorf und in der Gegend unterwegs. In einem kleineren Fluß konnte ich sogar mal baden gehen.
An einem anderen Tempel begegnen wir einem Briten, dem von drei Däninnen das Fahrrad „gestohlen“ worden war. D.h. – sie haben mit ihrem Fahrradschlüssel sein Rad abgeschlossen und sind damit verschwunden. Eines ihrer Räder steht noch hier, doch da paßt sein Schlüssel nicht. Nun probieren wir unsere Schlüssel. Meiner paßt bei ihm. Seiner.. also der vom „dänischen“ Fahrrad dafür bei mir. Prima, so kommen wir alle erstmal weiter. Für den Abend vereinbaren wir einen „Rücktausch“, dann auch mit den Däninnen.
Meine abendliche Runde mache ich diesmal allein. Am Hauptplatz treffe ich Satu, einen indischen Händler, den ich bereits zuvor kennengelernt habe. Hinter dem Haus läuft „Kino“, also eine DVD, die an einen Wand gebeamt wird. Es geht um hinduistische Götter-Geschichten. Satu erklärt mir die wichtigsten Gottheiten mit ihren Erkennungs- Merkmalen:
Lakshmi, der Gott von Geld und Reichtum, sitzt auf einer Lotus-Blüte, Durga reitet auf einem Tiger, Shiva trägt eine Schlange und Krishna, mit Pfauenfedern als „Krone“, spielt auf der Flöte….
Satu versucht, verschiedene westliche Sprachen zu lernen. „Bonito y barato„.. das kann ich auch: „Schön und billig„. Aber beim „schooeeen“ hat Satu seine Schwierigkeiten. „Ö“ ist was völlig Neues für ihn.
Am Mittag kommen wir auf dem Weg zum Jain – Tempel am Hotel Zen vorbei. Dort lockt große Pizza und ich habe auf einmal einen Riesen – Hunger darauf. O.k, dann muß der Jain – Tempel mal noch warten. Als wir frisch gestärkt weiterfahren, fangen uns ein paar Kinder ab. Die glänzen mit Sprachkenntnissen aus ganz Europa, sogar polnisch höre ich. Na gut, immer nur ein paar Worte… Die Kinder wollen uns unbedingt nach Hause locken „Mama, no problem“.
Zögernd geben wir nach, zum Jain Tempel kommen wir dann später noch. Die Mama ist zurückhaltend, aber offenbar gewöhnt, daß die Kinder Besuch mitbringen. Wir dürfen sogar einen Rund- Blick auf die östliche Tempelgruppe vom Hausdach werfen. Ich zeige den Kindern ein paar Jonglier-Tricks. Da lacht sogar die Mama. Dann müssen wir unbedingt noch die Schule ansehen. Naja, sieht wie eine leere Garage aus. Die Kinder sitzen ja hier meistens auf dem Boden. Möbel gibt es also so gut wie keine. Danach kommen wir zum Jain – Tempel. Da stehen riesenhafte nackte Männerfiguren. Ich denke, das sind wohl Kriegshelden, denen man die Sachen geklaut hat.
Als wir am nächsten Tag mit einer Fahrradrikscha zur Busstation fahren, treffe ich Satu nochmal. Wir verabschieden uns herzlich. Auch ein Klamottenhändler, der mich am Abend zuvor zum Tee eingeladen hat, freut sich, uns nochmal zu sehen. Obwohl ich bei keinem was gekauft habe. An der Busstation von Khajuraho hilft uns ein alter Händler bei der Beschaffung der Bustickets. Wir kaufen ihm dafür unsere Reiseverpflegung sowie Tee und Roti ab. Dann geht es mit einem „Klapperbus“ weiter, neuen Abenteuern in Agra und Delhi entgegen.
Das „Kama Sutra“ – Teil hinduistischer Lebensphilosophie
Das Kama sutra geht auf die hinduistischen Philosophien zurück, die bereits in den zwei vorchristlichen Jahrtausenden entstanden und menschliche Lebensziele wie Rechtschaffenheit, Erlösung, Wohlstand und Verlangen beschrieben bzw. sich über Wege dahin ausließen. Aufgeschrieben wurde das Kamasutra von Vatsyayana Mallanaga etwa im 3. Jahrhundert. Übrigends in Wochen völliger Enthaltung – Mallanaga wird dazu mit der Aussage zitiert: „Wer über Sex schreibt, sollte sich nicht dauernd dadurch ablenken lassen“. Der Titel Kamasutra leitet sich aus den sanskrit – Wörtern kama… Verlangen und sutra … die Lehre ab, kann also in etwa mit „Die Lehre vom Verlangen“ übersetzt werden. Es handelt sich um ein umfangreiches Werk mit Lebensratschlägen, Hinweisen auf den Umgang in Liebe, Lust, Schüchternheit, Ablehnung, Werbung, Manipulation, Verführung, Partnerwahl, Ehe, Beziehungsbruch usw.
Die westliche Welt hat das Kamasutra oft auf die Lehren zum Sex und insbesondere zu Stellungen im Sex reduziert. Bereits die ersten westlichen Ausgaben des 19. Jahrhunderts wurden skandalisiert und prägten den Beiklang zum Kamasutra.
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Kamasutra in Buch und Medien
Eine vollständige Ausgabe des Kamasutra von Vatsyayana Mallanaga*, vom Leipziger Indologen Klaus Mylius 1987 neu übersetzt, ist bei reclam als Taschenbuch erhältlich.
Viele weitere Bücher unter dem Stichwort Kamasutra nehmen für sich in Anspruch, die alten Liebeslehren auf heutige Lebensverhältnisse anzupassen und dabei Liebe, Respekt und Achtsamkeit fördern zu wollen. Generell bilden dabei aber Sex-Positionen immer einen zentralen, oftmals reich bebilderten Teil der Ausgaben.
z.B. Kamasutra. Liebe – Achtsamkeit – Erfüllung von Kalashatra Govinda*
Auch DVD werden zum Thema Kamasutra angeboten, wobei es in diesen noch stärker um die Darstellung von Positionen* geht.
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