Mit dieser Geschichte nehme ich mal die Frage von Simone auf, die sie auf Ihrem outzeit-blog aufgeworfen hat: „Zelten im Winter?„. Ja, geht alles. Vor allem mit den „komfortablen“ natürlichen Lagerstätten im Elbsandstein.
Unter einigen meiner Freunde, meist frühere Pfadfinder, hat sich seit über 25 Jahren eine Tradition entwickelt. Das Boofen am 4. Advent. Es hat ein Stück weit damit zu tun, daß wir gern dem ganzen Weihnachtsstreß, der ja leider immer stärker Kommerz-Druck wird, wenigstens für ein paar Tage nochmal entfliehen wollen und lieber etwas besinnlicher auf die Weihnachtstage zugehen, die dann für die meisten der Familie gewidmet sind.
Boofen ist was typisch sächsisches. Woanders gibt es eben keine Sächsische Schweiz, und damit fehlen (zumindest weitgehend) die Voraussetzungen. Ich glaube, das muß ich erstmal erklären, sowohl geologisch als auch germanistisch – um nicht säxistisch zu sagen, was manche schon wieder in den falschen Hals kriegen könnten. Beginnen wir sprachlich. In einigen Regionen gibt es pofen oder poofen als Verb, was Schlafen bedeutet, eventuell mit dem Beiklang von ausschlafen, übermäßig viel schlafen, faulenzen usw.
Im Sächsischen heißt das natürlich boofen. Mit schön weichem B und langgezogenen ooooo, und nach dem f folgt eigentlich schon das kurze n, das e ist fast nicht hörbar. Grundsätzlich ist die Bedeutung ähnlich wie vorstehend. Und jetzt kommt der geologische Einfluß auf die Sprache. Da der Elbesandstein ähnlich weich ist wie das B in Boofen, wurden im Laufe der Jahrtausende an diesen Fels – Wänden und – Nadeln in der Sächsischen Schweiz Grotten und Überhänge ausgespült. Manche sind nur so groß, daß ein oder zwei Menschen darunter kuscheln können, andere nehmen ganze Bergsteiger- Chöre in sich auf… oder eben uns.
Nicht alle dieser Überhänge sind wettersicher, aber viele bieten guten Schutz bei den meisten Wetterlagen. Sie verlocken gerade dazu, dort im Freien, aber unter einem dicken Felsendach zu nächtigen. Und das nennt sich auf sächsisch „boofen“, die Grotten selbst sind sogenannte Boofen. Die Schlafzimmer der Wandervögel sozusagen, im Freien, aber doch geschützt. Ein Himmelbett mit Sandsteinhimmel. Und der Wandervogel ist hier nicht versehentlich erwähnt, diese Tradition gibt es mindestens seit der Jugendbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Freischar, Wandervogel, die ersten Pfadfinder und andere Jugend – Bünde auszogen und in der freien Natur nächtigten. Dazu kamen die Bergsteiger-Vereine, die in der Sächsischen Schweiz ja ebenfalls seit langer Zeit unterwegs sind.
Da es eine so lange Tradition gibt, wurden die Boofen mit der amtsdeutschen Bezeichnung „Freiübernachtungsstellen“ sogar in die Nationalpark-Verordnung aufgenommen. Denn die Sächsische Schweiz ist zu großen Teilen Nationalpark, und im Nationalpark ist es ja eigentlich nicht erlaubt, einfach so mal zu nächtigen. Einige der Boofen wurden aber mit strengen Auflagen der Nutzung (z.B. kein Feuer machen!) offiziell als Lagerstätten anerkannt.
Nun ist „kein Feuer machen“ im Winter ziemlich mies…
Doch es gibt, v.a. linkselbisch, Teile der Sächsischen Schweiz, die liegen nicht im Nationalpark. Deshalb sind wir eher dort unterwegs.
Hinweis zu den aktuellen Boofen Regelungen: Da in den letzten Jahren die Bestände und Bruterfolge streng geschützer Arten wie z.B. dem Wanderfalken, für den die Sächsische Schweiz eines der letzten Rückzugsgebiete ist, deutlich rückläufig sind sowie wegen zunehmender Waldbrände im Nationalpark, die zum nicht unerheblichen Teil durch fahrlässig handelnde Boofer ausgelöst wurden, werden die bisher großzügigen Regelungen zum Boofen (Freiübernachten) derzeit zwischen Nationalparkverwaltung, Umweltministerium und den Bergsteigern des Sächsischen DAV diskutiert und überarbeitet. Boofen ist deshalb derzeit jahreszeitlich beschränkt und streng limitiert. Zuwiderhandlungen gelten als Ordnungswidrigkeit, die mit hohen Geldstrafen belegt werden können.
Wenn ich manchmal davon erzähle, kommt fast immer als Erstes die fragende Bemerkung „Da hast Du bestimmt einen superguten Schlafsack!“ Meine Antwort dazu ist – „Nö, warum? Zwei schlechte tun’s doch genauso“ Es ist ja nicht so, daß ich ständig im Winter draußen umherziehe. Eigentlich mag ich Winter und Kälte gar nicht besonders. Deswegen habe ich zwar inzwischen mehrere Schlafsäcke, die ich je nach Wetterlage und Vorhaben im Frühling und Sommer verwende, aber keinen richtigen Winterschlafsack.
Ich nehme einfach einen normalen Daunenschlafsack, innendrin noch ein Inlett, was ich sowieso immer benutze, und stecke das alles in einen nicht allzu dicken Kunstfaser-Schlafsack, fertig. Wenn’s richtig knackig werden soll, hilft auch noch eine zusammengenähte Fleece-Decke innen oder eine alte NVA-Zeltplane, zum Biwak-Sack zusammengeknüpft, aber normalerweise brauche ich das nicht. Und ich schlafe meistens ohne viele Klamotten. Außer – ein paar Schafwoll-Socken, die strickt meine Mutter selber, mit richtigen Schafwoll- Flocken innen drin. Leider krieg ich schnell mal kalte Füße…
Ach ja, die Iso-Matte ist wichtig. Mindestens genauso wie der Schlafsack, sonst kriecht die Bodenkälte hoch und die Nacht wird sehr unangenehm. Ich benutze im Winter eine einfache Ridge-Rest – Matte mit geschlossen-porigen Schaumstoff- Rippen. Soll bis -30° reichen, bis – 15° habe ich die schon getestet und bin sehr zufrieden. Hab schon manchen mit den tollen „Luftmatratzen“ in der Nacht fluchen hören, weil diese durch Dornen oder Steinchen undicht geworden sind und dann „etwas die Haltung verloren haben“.
Es ist immer ein tolles Wochenende. Wir treffen uns am Freitag nachmittag – die meisten gehen vorher normal arbeiten – fahren dann mit der S-Bahn raus und haben noch eine Wanderung durch die Dunkelheit vor uns bis zur vorher ausgewählten Boofe. Es wird eben zeitig dunkel im Winter, das ist im Alltag ziemlich lästig. Beim Boofen gewinnt die Situation an Reiz.
Wir haben es schon erlebt, daß wir im Schneesturm in der Sächsischen Schweiz angekommen sind (viele Autofahrer haben diese Nacht auf der A9 eingeschneit im Auto verbracht, da hatten wir es sicher deutlich besser). Dort war es ruhiger, nur alles tief verschneit. Wir sind noch rund 2 1/2 Stunden durch den Tiefschnee gestapft. Das Erstaunliche war, daß links und rechts des Weges überall mal Lichter durch den Flockenwirbel geisterten – einige andere Boofen waren bereits belegt! Bei Weitem sind wir nicht die einzigen, die am 4. Advent draußen sind. Meist sind es Bergsteiger- Gruppen oder – Chöre , die dann ihr Weihnachten feiern. Einmal sind wir schon umgezogen in eine kleinere Boofe, weil am nächsten Tag noch eine größere Gruppe Bergfreunde dazukam, ein andermal haben wir die Boofe geteilt.
In einem Jahr war ich zum Arbeiten gerade an der Ostsee unterwegs und bin Freitag nachmittag mit dem Auto nach Dresden gefahren, um auf die anderen zu stoßen. Auf der Autobahn habe ich mich gewundert, warum mein Scheibenwasser immer gleich einfriert, die Heizung lief auf Anschlag und es wurde nicht richtig warm. Kurz vor Dresden habe ich das Radio auf mdr-Kultur umgestellt, es kamen Nachrichten und der Wetterbericht „…Dresden -14°C“ Alles klar! Da mußte ich gleich erstmal anrufen, ob die anderen los sind, weil einer von ihnen mal gesagt hatte ‚bei unter -8° fährt er nicht mehr‘. Doch ich hörte schon an den Hintergrund-Geräuschen, die sitzen in der S-Bahn.
In der Boofe brannte das Feuer, es hat in dieser Nacht nur einigermaßen gewärmt. Die Rückseiten waren trotzdem ziemlich kalt. Die Gesprächsrunden waren kürzer als sonst, da jeder sich in seinen Schlafsack kuscheln wollte. Am nächsten Morgen hatte es eine draußen liegengelassene Sigg-Wasserflasche (aus Aluminium) der Länge nach aufgesprengt. Eis quoll aus dem Spalt. Aber es war wärmer geworden – nur noch -9°! An den Samstagen unternehmen wir immer eine ausgedehnte Wanderung. Natürlich steuern wir dabei meist am frühen Nachmittag eine Kneipe an und wärmen uns bei einer ausgedehnten Mahlzeit auf. Dafür, daß wir noch selbst anfangen, großartig zu Kochen, ist das Elbi zu klein – man kann eigentlich überall ein Gasthaus „erwandern“. Abends gibt es dann wieder eine Runde am Lagerfeuer. Einige schleppen dazu ein paar Pappen Glühwein mit. Das war noch nie so mein Fall. An dem besagten Wochenende kroch der Glühwein jedenfalls wie ein Gelee aus der Pappe in den Topf!
Wenn alle in den Schlafsäcken liegen und vor sich hin schnarchen, das Bild hat mich schon manchmal an verirrte und aufs Trockene geratene Wale erinnert – überall die im Schlafsack eingemummelten Körper und darüber eine Dampfsäule, wie der Blas eines Wals.
Mir ist es trotzdem lieber, die Temperaturen liegen etwas unter Null Grad als darüber, denn dann wird es oft naßkalt, der Wind kühlt unangenehm, und einige Male hatten wir auch eiskalte Regenschauer während unserer Wanderungen – das ist so richtig häßlich. Da hilft nur noch, sich am Feuer warmtanzen. Wenn die Schneeflocken wirbeln und der Wald und die Felsen etwas eingeschneit da liegen, sieht doch alles gleich viel freundlicher aus.
Wer im Winter raus will – es ist machbar. Anstrengender als die Kälte finde ich dabei die lange Dunkelheit. Beim Boofen ist das kein Problem, da wir lange um das Lagerfeuer sitzen und erzählen. Einige der Leute sehe ich nur noch das eine Mal im Jahr, da gibt es viel Stoff… Aber ich habe auch schon Wintertouren allein gemacht und dann ohne Feuer irgendwo im Wald gehockt – das schlägt schnell auf die Stimmung. Eine brauchbare Taschenlampe mit viel Ausdauer ist auf alle Fälle erforderlich… schon, um mal pipi gehen zu können oder danach den eigenen Schlafsack wiederzufinden. Ansonsten wie gesagt, ein oder zwei Schlafsäcke, eine brauchbare Isomatte (oder auch hier zwei, wenn Du nur einfache Matten hast) und bei der Kleidung am Besten gute Zwiebel- Schichten. Während der Wanderungen kann die Schichtung dünner sein, zum Lagern brauchst Du noch was zum Draufziehen.
Wichtig sind außerdem die richtigen Schuhe, v.a bei Nässe und Schnee ein gutes Profil, was Dich hält und vorwärts treibt. Meine Meinung ist, nur ordentliche Leder-Wanderschuhe taugen auf Dauer was. Diese vor der Tour nochmal gut aufwärmen und mit Sno-Seal einreiben macht sie richtig dicht und geschmeidig. Ist das Leder schön vorgewärmt, kannst Du beim Einziehen von Snow-Seal zugucken.
Ach ja, und den/die Schlafsäcke am Lagerplatz gleich nach der Ankunft aus der Transporthülle nehmen und gut durchschütteln – cm für cm, das bringt was. Dann können sich die Fasern/ Daunen entspannen und wieder kräftig Luft aufnehmen. Ein zusammengepreßter Schlafsack hält schlecht warm. Meiner Meinung nach ist der Unterschied deutlich spürbar, gerade in kalten Winternächten. O.k, alle diese Tricks habe ich auf outdoor-knowhow.de bereits beschrieben.
Was die Verpflegung angeht, habe ich mir das in den letzten Jahren ziemlich vereinfacht. Ich bereite für so ein Wochenende Frühstück (6 Brötchen) und Abendbrot (ein ordentliches Paket bereits geschmierter „Bemmen“) zu Hause vor. Damit entfällt das Mitschleppen diverser Aufstrich- und Käsepackungen oder Butter, die auf dem Lagerplatz sowieso nur knochenhart ist. Die Verpflegung ist im Winter also „naturgekühlt“. Der Nachteil, ’sozialer Futtertausch‘ – „Darf ich mal Deine tolle Marmelade kosten?…. Möchte noch jemand von diesem wunderbar gereiften Camembert?“ – ist nicht oder nur noch eingeschränkt möglich. Dem begegne ich ein Stück mit einer großen Tüte voll selbstgebackener Weihnachtplätzchen, die schon bei der Anfahrt in der S-Bahn die ersten Runden dreht.
Für alles Gepäck nehme ich meinen großen 55l-Rucksack, da paßt alles rein einschließlich der zusammengerollten Isomatte. Sieht zwar ziemlich riesig aus für eine Wochenend-Tour, ist aber trotzdem verhältnismäßig leicht, da Schlafsäcke und Isomatte ja nun wirklich kein großes Gewicht abliefern. Und ich habe die Hände frei, nichts baumelt rum, es läuft sich bestens.
Wer gern auch mal im Winter raus will, aber ohne draußen zu schlafen – es gibt in der sächsischen wie in der böhmischen Schweiz (dem Teil des Elbsandsteingebirges auf der tschechischen Seite) gute Quartiere. Von dort aus sind Tageswanderungen möglich… naja, das habe ich als Tip für „Zwischen den Jahren“ kürzlich schon beschrieben.